Chr. Bernhardt u.a. (Hgg.): Geschichte der Planung des öffentlichen Raum

Titel
Geschichte der Planung des öffentlichen Raums. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung 122


Herausgeber
Bernhardt, Christoph; Fehl, Gerhard; Kuhn, Gerd; von Petz, Ursula
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 18,69
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Haumann

Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis der ersten Tagung des „Arbeitskreises Planungsgeschichte“ der Gesellschaft für Stadt- und Urbanisierungsforschung, die im November 2003 unter dem Titel „Geschichte des öffentlichen Raumes“ stattfand. Der einleitende Aufsatz der Herausgeber umreisst den Horizont der im Band behandelten Fragestellungen ausgehend von aktuellen Debatten um den Niedergang des öffentlichen Raumes. Um zu einer fundierten Bewertung zu gelangen, sei es nötig, diese in ihrem historischen Kontext zu begreifen. Insbesondere die Frage nach dem Einfluss von politischen und gesellschaftlichen Leitbildern auf die Planung und die damit verbundene beabsichtigte Kodierung und nicht-intendierte Mehrfachkodierung von öffentlichen Räumen steht im Mittelpunkt des Sammelbandes. Absicht des Bandes ist, ein differenzierteres Bild davon zu zeichnen, inwieweit sich öffentlicher Raum "beherrschen" und planen lässt.

Gehrhard Fehl beschreibt in seinem Beitrag „Öffentlicher Raum, Öffentlichkeit, Städtebau“ den Wandel städtebaulichen Umgangs mit öffentlichem Raum zwischen 1760 und 1890. Darin stellt er eine Analogie zwischen der Diversifizierung der Öffentlichkeiten und der funktionalen Differenzierung von öffentlichen Flächen in der Stadt her. Die Zunahme konkurrierender Zielvorstellungen und deren städtebauliche Ausgestaltung war geprägt von den jeweiligen Absichten, Einfluss auf die Qualität der Öffentlichkeit und damit auf das Verhalten der Nutzer zu gewinnen.

Christoph Bernhardts Aufsatz "Die Vertreibung des Wassers aus der Stadt und der Planung" zeichnet am Beispiel Berlins den Einfluss des Leitmotivs Hygiene für die städtebauliche Planung nach. Die zunehmende Regulierung des Wasserkreislaufs in der Stadt erfolgte demnach seit dem 19. Jahrhundert über die Trockenlegung feuchter Gebiete, Kanalisation und schließlich die "Verhäuslichung" des Wassergebrauchs. In ihrem Beitrag "Von Straßen, Volksparks und Grüngürteln" stellt Renate Kastorff-Viehmann die Entstehung von öffentlichen Grünanlagen im Ruhrgebiet dar. Sie streicht dabei das Fehlen einer bürgerlichen Öffentlichkeit bis zum Übergang ins 20. Jahrhundert als Besonderheit der Städte an Ruhr und Emscher heraus. Mit der Schaffung von Parks, Boulevards und Gärten sollte das Fehlen bürgerlicher Kultur kompensiert werden.

Der "Entdeckung des öffentlichen Raums durch die Planung" widmet sich Ursula von Petz, indem sie die planungstheoretischen Überlegungen Camillo Sittes zu daran angelehnten Planungen der Stadt München um 1900 in Beziehung setzt. Die von Sitte angeregte Ausrichtung an künstlerischen Maßstäben sollte stadträumliche Qualitäten durch Unregelmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Bebauung hervorbringen. Die Leistung der Münchener Planer sieht von Petz darin, dass sie Sittes Ideen nicht dogmatisch umgesetzt, sondern unter pragmatischen Gesichtspunkten modifiziert haben.

Einen weiteren Beitrag zur Planungstheorie und deren Umsetzung liefert Ulrich Wieler mit einem Aufsatz über "Das lange Warten auf die Raumstadt". Walter Schwagenscheidts Konzept der Raumstadt wird hier historisch kontextualisiert. Zum einen über die Biografie Schwagenscheidts, zum anderen über die Bedingungen – Entwicklung des modernen Städtebaus und der Wiederaufbau nach 1945 - unter denen sein Konzept entstand. Ebenso richtet der Autor sein Augenmerk auf die Wirkungen Schwagenscheidts Ideen auf die weitere Planungstheorie und den Bau der Frankfurter Nordweststadt. Der Planung öffentlichen Raumes im Nationalsozialismus wendet sich Christiane Wolf in ihrem Aufsatz "'Rassisches Klassisches Weimar' Zentrale Räume nationalsozialistischen Lebens" zu. Anknüpfend an die bauliche Ausgestaltung der Klassik, dokumentierte der Nationalsozialismus in Weimar die Entwicklung eines eigenen Baustils und erhob die Stadt zum Prototyp für die Planung weiterer Gauhauptstädte.

Die drei Beiträge von Frank Betker, Carsten Benke und Ruth May befassen sich mit der Planung zentraler Räume in der DDR. In "Der öffentliche Raum in der 'sozialistischen Stadt'" kontrastiert Betker die planungspolitischen Absichten der SED mit der pragmatischen Nutzung öffentlicher Räume. Er kommt zu dem Schluss, dass die Konzeption öffentlichen Raumes zunächst dadurch gekennzeichnet war, Unterschiede zur bürgerlichen Öffentlichkeit herauszustreichen, während sich ab den 70er Jahren eine zunehmende Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzer erkennen lasse. Unter dem Titel "Das Stadtzentrum als unerfüllter Wunsch" beschreibt Carsten Benke die Probleme ostdeutscher Kleinstädte, urbane Qualitäten zu entwickeln. Am Beispiel der Stadt Ludwigsfelde wird deutlich, dass die Priorität der DDR-Plnung auf dem Industrie- und Wohnungsbau lag, während der für zentrale städtische Einrichtungen vorgesehene Raum leer blieb. Ein weiteres Beispiel für die Umsetzung sozialistischer Planungsgrundsätze greift Ruth May mit "Der öffentliche Raum: Eine sozialistische Interpretation in Stalinstadt" auf. Sie stellt das heutige Eisenhüttenstadt als herausragendes Beispiel für die Versuche in der Frühphase der DDR, Urbanität zu schaffen, dar. Alle drei Aufsätze unterstreichen die These, dass die ideologischen Ansprüche des SED-Regimes an die Stadtplanung zunehmend pragmatischen Aspekten untergeordnnet wurden.

Der westdeutschen Situation nach 1945 wendet sich Dirk Schubert zu. "Fußgängerzonen – Aufstieg, Umbau und Anpassung" thematisiert die Entwicklungsgeschichte der autofreien Einkaufsstraßen von ersten Versuchen in den zerstörten Zentren der Großstädte bis zur Ausstattung zahlreicher mittlerer und kleiner Städte mit autofreien Bereichen in den 1980er Jahren. Schubert stellt dabei die programmatisch begründete Trennung der Verkehrsarten zur Sicherheit der Fußgänger und zur Stärkung kommerzieller Interessen als zentrales Moment dieser Entwicklung heraus.

In ihrem abschließenden Beitrag "Renaissance oder Niedergang? Zur Krise des öffentlichen Raums im 20. Jahrhundert" bemängeln Tilman Harlander und Gerd Kuhn, dass in den aktuellen Debatten zu wenig auf historische Entwicklungslinien eingegangen wird. Die historische Kontextualisierung zeigt, dass öffentlicher Raum stets Veränderungen unterworfen war, die ambivalent und damit nur schwer planbar waren. Als Konsequenz daraus sehen die Autoren eine Entwicklung, die die Getaltung öffentlichen Raumes zunehmend ihren Nutzern überlässt. Am Ende des Sammelbandes steht - wie beabsichtigt - ein stark differenziertes Bild von den Möglichkeiten der Planung öffentlichen Raumes. Insgesamt bietet er einen guten Überblick über ein weites Themenspektrum, das sowohl Aspekte der Planungstheorie als auch der Planungspraxis umfasst. Die jeweils gewählten Beispielfälle sind überwiegend aussagekräftig, obwohl einige Aufsätze in ihrem Aufbau wenig stringent wirken. Insgesamt bietet der Band eine ausgewogene Mischung unterschiedlicher wissenschaftlicher Erkenntnisinteressen, die auf den interdisziplinären Dialog zwischen Historikern und Planern hindeutet.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension